(von Eckhard Grönemeyer, 1985)
Viele Filme halten die Erinnerung an die Prohibition in Amerika wach, also das Verbot, Alkohol herzustellen und zu verkaufen. In Deutschland gab es ein solches Verbot nicht, wohl aber sicherte sich der Staat das Branntweinmonopol. Wer dagegen verstößt, wird als „Schwarzbrenner“ bezeichnet. Es lohnt sich kaum, in mühevoller Heimarbeit „schwarz“ zu brennen, weil Gaumen und Zunge, was den Trinkgenuss anbelangt, heute sehr verwöhnt sind. Außerdem gibt es Alkohol in allen Variationen und beliebiger Menge überall im Handel. Natürlich mit der Banderole vom Fiskus, die belegt, dass der Staat mit seiner Branntweinsteuer schon vorab einen „kräftigen Schluck aus der Pulle“ genommen hat.
Mittlerweile hat die Zeit den Mantel der Vergessenheit über die „kleinen Sünden“ der Kriegsgeneration ausgebreitet. Die jüngere Generation wird kaum mitbekommen haben, dass nach dem Zweiten Weltkrieg auch im Altkreis Wittlage im Verborgenen reichlich viel „Schwarzbrenner“ am Werk waren — wenn man den Erzählungen Glauben schenken darf. Versetzen wir uns einmal in die Zeit zurück. Die Konsumgüter überschwemmten noch nicht den Käufermarkt mit Sonderangeboten und das Haushaltsgeld war noch sehr knapp. Wenn schon Ausgaben getätigt wurden, so vordringlich für den Aufbau einer Existenz. Familien, die den Krieg heil überstanden hatten, darf ein großer Nachholbedarf an geselliger Fröhlichkeit (die beiden Worte können in der Reihenfolge auch ausgetauscht werden!) unterstellt werden. Und hier bot sich Selbstgebrannter Alkohol als „Seelentröster“ an.
Vor diesem Hintergrund soll nachstehend über eine Begebenheit von „Schwarzbrennern" im Wittlager Land berichtet werden, wobei die Namen der Handelnden natürlich verschwiegen werden. Ende der vierziger Jahre trafen sich Männer der Freiwilligen Feuerwehr an ihrem Spritzenhaus zum Gruppendienst. Voller Tatendrang wünschten sich die Feuerwehrmänner eine Brandsirene, die es zu jener Zeit nur in den Städten gab, während auf dem platten Land noch mit der Brandglocke oder dem Brandhorn nach alter Väter Sitte zum Einsatz gerufen wurde. Von den Gemeindevätern — das waren gestandene Bauern, die jedweden „nimodsken Kraum" ablehnten — erwarteten die Feuerwehrleute keine finanzielle Unterstützung. Außerdem waren die „Gemeindesäckel" damals noch kein Füllhorn, aus dem beliebig Geld abgeschöpft werden konnte. Folglich blieb den „Blauröcken“ nichts anderes übrig, als das Geld für die ersehnte Sirene selbst zu verdienen. So wurde der Gedanke geboren, ein Dorffest im damaligen Dorfgasthaus zu veranstalten. Dabei sollte dann der so bezeichnete „Eigenheimer“, ein aus Zuckerrüben schwarz gebrannter Schnaps, ausgeschenkt werden. Drei Gläser Schnaps für eine Mark.
Der Wirt, um den Verlust seiner Schankkonzession bangend, wollte wohl an dem Dorffest mitverdienen, aber ohne Risiko. Deshalb stellte er nur den Saal zur Verfügung, während der Ausschank dem Festausschuss oblag. Nach dem althergebrachten Grundsatz: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ glaubte unser Wirt im Falle eines Falles durch die Maschen des Gesetzes schlüpfen zu können. Die „Schwarzbrenner“ zogen nun aus. Sie sammelten Zuckerrüben, säuberten sie und brachten die ganze Ladung zur Krautfabrik, die sich zu jener Zeit noch am Bahnhof in Rabber befand. Der bräunliche Rübensaft wurde auf einem weit abgelegenen Hof mit Hefe zum Gären gebracht. Zwischenzeitlich hatten die Tüftler sich auch einen primitiven Destillierapparat mit langen Kühlschlangen durch ein Wasserbad gebastelt. Tröpfchen für Tröpfchen sammelte sich der hochprozentige Schnaps im Auffangbehälter, während die Männer doppelkopfspielend darauf achteten, dass das Feuer zum Erhitzen des Destillats nicht ausging.
Übrigens hatte man beim Rübenschnaps nicht die Sorge einer Alkoholvergiftung, wie sie beim Selbstgebrannten aus Weizenkorn befürchtet werden musste. Der Rübenbrand wurde mit braunem Zucker verfeinert, so dass er den „Rührgold“ ergab, während die „Frumslüe“ ihren Rübenbrand mit Essenzen wie Pfefferminze angereichert bekommen sollten. Der immer noch konzentrierte Alkohol wurde mit Wasser soweit verdünnt, dass seine Konzentration bei etwa 35 Prozent lag. Nun konnte das Fest im Dorfgasthaus steigen. Mit großen Milchkannen wurde der „Schwarzbrand“ herangeschafft und ausgeschenkt. Das Fest war ein „voller“ Erfolg, sowohl für die Besucher, die sicher am nächsten Tag einen schweren Kopf hatten, als auch für die Feuerwehrmänner, die jetzt den Erlös aufwenden konnten, um von der Berufsfeuerwehr in Osnabrück eine der ersten Sirenen für das „Wittlager Land“ zu beschaffen.